VON MANAGUA NACH KÖLN

Einblicke in die Welt der Entwicklungszusammenarbeit durch die Augen von Francis Benavides

Im Oktober 2023 absolvierte Francis Benavides, eine Kollegin unserer Partnerorganisation SofoNic aus Nicaragua, ein vierwöchiges studienbedingtes Praktikum in unserer Geschäftsstelle in Köln. Sie arbeitet seit acht Jahren als Architektin und Projektkoordinatorin mit Gemeinden in Nicaragua. Zurzeit macht Francis ihren Master in internationaler Entwicklungszusammenarbeit. Wir nutzten die Gelegenheit, um mit ihr über die Projektarbeit in Nicaragua und andere Themen zu sprechen: 

DESWOS: kannst du unseren Leserinnen und Lesern einen Überblick über die Entwicklungs-Projekte geben, an denen du derzeit mit Sofonic in Nicaragua beteiligt bist? 

Francis: Im letzten Jahr habe ich an dem Projekt in La Concordia mitgearbeitet, bei dem es nicht nur um den Bau von Häusern geht. Wir arbeiten auch mit Familien und Schulkindern in ländlichen Gemeinden zusammen, indem wir Lernmaterial zur Verfügung stellen und uns mit verschiedenen Themen, wie Ökologie und Umweltschutz, beschäftigen. Dazu gehören auch Komponenten, mit denen Familien wichtige Kenntnisse erwerben, etwa zu Themen wie Gesundheit, Katastrophenschutz und Wiederaufforstung. Außerdem gibt es auch eine Gruppe von Maurern, die während des Projekts in einem dualen Ausbildungsprogramm geschult wurden.

DESWOS: Auf welche Herausforderungen seid ihr vor Ort gestoßen und wie habt ihr sie als NGO bewältigt?

Francis: Eine der Herausforderungen besteht darin, ein Gefühl der Gemeinschaft und der gegenseitigen Unterstützung zu erzeugen. Normalerweise denken die Menschen individualistisch, aber in unseren Projekten konzentrieren wir uns nicht auf Einzelpersonen, sondern arbeiten mit der gesamten Gemeinschaft, um ihre Entwicklung zu fördern. Eine weitere Herausforderung besteht darin, bei den Familien, mit denen wir arbeiten, ein Verantwortungsgefühl zu schaffen und ihr Engagement zu fördern. In der Vergangenheit wurden einige Leistungen zur Verfügung gestellt, ohne eine Eigenbeteiligung zu erwarten. In unseren Projekten heute stehen wir in engem Kontakt mit den Familien und fordern von Anfang an ein hohes Maß an Beteiligung und Arbeit ein.

DESWOS: Wie siehst du die Rolle der DESWOS bei der Unterstützung von Projekten in Nicaragua?

Francis: Die DESWOS ist unsere größte Förderinstitution. Die Unterstützung der DESWOS spielt eine wichtige Rolle, denn sie ermöglicht es uns, mit Menschen zu arbeiten, die weit von den Städten entfernt leben oder in Regionen, in denen normalerweise keine anderen Organisationen tätig sind.

DESWOS: Nenne uns bitte eine positive Erfahrung deiner Arbeit, die du gerne weitergeben möchtest?

Francis: Als Architektin musste ich den Familien die Entwürfe der Häuser vorstellen. Einmal sagte ein Familienvater: „Ich werde derjenige sein, der als Einziger entscheidet, was für ein Haus gebaut werden soll.“ Gegen diese chauvinistische Einstellung musste ich unbedingt angehen und erklärte, dass die ganze Familie eingebunden 

werde und darüber diskutieren müsse, wie das Haus gebaut werden sollte. So ist es dann auch gekommen. Mit solchen Problemen sind wir häufig konfrontiert. Eine unserer Forderungen ist die Beschaffung eines legalen Eigentum-Titels für das Grundstück, das von Mann und Frau gleichsam unterschrieben werden muss. Damit soll sicher gestellt werden, dass das Haus in der Familie bleibt. So können die Kinder weiterhin in dem Haus leben, auch wenn sich die Eltern scheiden lassen.

DESWOS: Was ist das Ziel deines Praktikums bei der DESWOS?

Francis: Ich studiere derzeit für den Master in internationaler Zusammenarbeit. Da die DESWOS über 50 Jahre Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt hat und Projekte in verschiedenen Regionen der Welt durchführt, darunter auch in Nicaragua, wollte ich mit dem Team zusammenarbeiten und von ihm lernen.

DESWOS: Was sind die Prioritäten und Ziele der Entwicklungsprojekte in Nicaragua in den nächsten Jahren? 

Francis: Bessere Lebensbedingungen haben immer eine Priorität in unseren Projekten. Aber ich bin auch der Meinung, dass die Entwicklung von Resilienz gegenüber den Folgen des Klimawandels und die Gefahrenabwehr bei Katastrophen elementare Themen sind, die bei Entwicklungsprojekten berücksichtigt werden müssen. Insbesondere in Nicaragua, wo es aufgrund des Klimawandels häufig Extremwetterereignisse gibt. Dies betrifft auch die vielen Menschen, deren Lebensgrundlage die Landwirtschaft ist.

 

DESWOS: Wie haben sich die COVID-19-Pandemie und die gestiegene Inflation auf das Leben und die Projektarbeit in Nicaragua ausgewirkt?

Francis: Im Falle der Covid-19-Pandemie war es für uns schwierig. Denn die Impfung begann erst rund ein Jahr später als in anderen Ländern. Wir hatten Schwierigkeiten, den Impfstoff, die Masken und andere Dinge zu bekommen, um die Krankheit zu bekämpfen. Auch in den Projekten hatten wir Probleme, die Familien persönlich zu treffen. Was die Inflation angeht: Alles wurde teurer, die Preise für Sand oder Ziegelsteine zum Beispiel. Bei den Wohnungen war es schwierig, weil wir für jeden Bau eine bestimmte Budgetlinie einhalten mussten. In einigen Fällen wurde der Umfang oder die Aktivitäten, die wir geplant hatten, reduziert.

DESWOS: Sind deine eigenen Erwartungen an die Zeit bei der DESWOS erfüllt worden?

Francis: Ich hatte hier eine wirklich gute Zeit. Besonders interessant war für mich, zu lernen, dass die Probleme und Arbeitsweisen in Projekten in Afrika und Asien sich sehr von denen in Lateinamerika unterscheiden. Da geht es weniger um erdbebenresistentes Bauen und mehr um die Bekämpfung von Trockenheit oder Überflutungen. Im Namen des Teams von SofoNic und der Menschen in Nicaragua möchte ich Ihnen allen sehr für Ihre Unterstützung danken und hoffe, dass Sie Ihre Förderung auch in Zukunft fortsetzen. Muchas gracias!