Was ist typisch für Ecuador? Rein geografisch ist es etwa der Amazonas-Regenwald, hohe Andenberge und Vulkanlandschaften. Einer davon ist der Vulkan Tungurahua, mit einer Höhe von 5.019 Metern. Er liegt im Kanton Penipe, der Projektregion der DESWOS. Die Dörfer Puela und El Altar wurden zwischen 1999 und 2010 mehrmals von starken seismischen Bewegungen, von Steinschlag und Asche des Vulkans Tungurahua, getroffen. Viele Häuser und Felder wurden dabei schwer beschädigt, oder ganz zerstört. Hunderte Familien leben seither in Notunterkünften und legen täglich zu Fuß weite Wege zurück, um ihre Felder wieder zu kultivieren und ihr Vieh weiden zu lassen. Die Vulkanasche hat den Nährwert des Bodens verbessert und macht eine gute landwirtschaftliche Produktion möglich. Inzwischen wollen die Menschen in ihre Dörfer zurückkehren und ihre Höfe wiederaufbauen.
Die DESWOS und ihre langjährige Partnerorganisation Fundación EcoSur Ecuador unterstützen insgesamt 70 besonders schwer betroffene Familien beim Wiederaufbau und der Sanierung ihrer Häuser und Toiletten. Auch der Bau von 12 Regenwassertanks gehört zum Projekt, sowie die berufliche Ausbildung und umfangreiche Schulungen zu Hygiene, Ernährung und nachhaltige Landwirtschaft.
Insgesamt erreicht die DESWOS mit ihren Maßnahmen fast 2.100 Menschen! Unwegsames Gelände ist eine Herausforderung. Doch wie erreicht die Fundación diese Menschen in ihren sehr abgelegenen Häusern? In einem schwer zugänglichen Gebiet, in das nur eine einzige asphaltierte Straße führt? In einer Höhe von 2.280 Metern und einer Fläche von 366 km², die größer ist als Dresden? Wie lässt sich in dem unwegsamen Gelände eine Bestandsaufnahme von den Schäden dieser vielen Häuser machen? Wer wählt die besonders bedürftigen Familien aus und nach welchen Kriterien? Wer entscheidet, wessen Haus komplett neu errichtet werden muss, oder für wen ein Anbau oder ein neues Dach ausreicht? Das allein kann das vierköpfige Team der Fundación nicht leisten.
Dafür arbeitet die Fundación mit Gemeindeführer:innen und Studierenden des Fachbereichs Architektur und Bautechnik der Universidad Nacional de Chimborazo (UNACH) zusammen.
Die Studierenden erfassen im Auftrag von EcoSur sozial und ökonomisch relevante Faktoren der Familien, wie etwa Einkommen, Fixkosten, Familienstand und Anzahl der Familienmitglieder, Zugang zu Strom, Wasser, Telefon sowie Internet und den baulichen Zustand ihrer Häuser. Dabei gehen sie gemeinsam mit den jeweiligen Gemeindeführer:innen zu Fuß von Tür zu Tür.
Die umfangreichen Daten arbeiten sie in eine App namens „KoboCollect“ ein, die zur Primärdatenerfassung verwendet wird. Mit nur einem Klick erhält die Fundación später alle relevanten Daten zu den Familien, inklusive genauer geografischer Verortung. Es ist eine Win-Win Situation: EcoSur erhält alle erforderlichen Informationen und schafft damit die Grundlage für die sorgfältige Projektplanung. Gleichzeitig erhalten die Studierenden neben einem Entgelt für die Fahrtund Verpflegungskosten auch ein Zertifikat, das sie als Praxisarbeit bei der Universität geltend machen können. Alle sind sich einig, dass „KoboCollect“ als nutzerfreundliches und noch dazu kostenfreies Tool unbedingt mit weiteren Projektpartnern der DESWOS in Afrika und Asien geteilt werden sollte.
Bei der Auswahl der Familien, spielen die Gemeindeführer:innen eine große Rolle. Sie sind
als Vertreter:innen der Gemeinden von der Dorfbevölkerung gewählt, sind deshalb eine im Dorf anerkannte Instanz und genießen somit das nötige Vertrauen seitens der Bevölkerung für die Durchführung der umfangreichen Datenerhebung.
Gemeinsam mit EcoSur entscheiden die
Gemeindeführer:innen, welche Familien letztendlich gefördert werden. Denn sie kennen die Familien gut und wissen auch um deren individuelle Probleme. Die Auswahl der Familien erfordert viel Diplomatie und Feingefühl, vor allem von Ecosur. Dabei helfen auch die klaren Kriterien, wie beispielsweise die Einkommenssituation, Anzahl der Familienmitglieder, Bereitschaft zur aktiven Teilnahme, die die Fundación zur Auswahl der begünstigten Familien erarbeitet hat.
Beim Besuch von DESWOS-Geschäftsführerin und Projektbetreuerin Johanna Drach und dem Geschäftsführer der Fundación Diego Coloma im Mai 2022 im Dorf Puela fielen ihnen drei Familien besonders auf. Der Blick in ihre Behausung machte den Bedarf sehr deutlich.
„Der Zustand der Häuser war sehr ärmlich. Innen herrschte viel Unordnung und Schmutz“, beschrieb die Geschäftsführerin und Projektbetreuerin Johanna Drach die Wohnsituation.
Die Kleider hängen aufgrund fehlender Schränke auf Leinen. Meist teilen sich fünf bis sieben Personen ein bis zwei Wohnräume von insgesamt maximal 60 m² Fläche. Auffällig ist mit 65 Jahren auch das hohe Durchschnittsalter der Menschen in den Gemeinden, da die Jüngeren auf der Suche nach Arbeit meist in die Städte abwandern. Einige Menschen haben keinerlei Einkommen und leben lediglich von einem staatlichen Sozialbonus „bono de desarrollo“, der bei monatlich 50 US-Dollar pro Person liegt.
Nach Projektbeginn Ende 2021 und der umfassenden Bestandsaufnahme bis Mai 2022 sind die ersten 20 Familien ausgewählt worden. Gemeinsam mit den Familien erarbeitet Estuardo Quishpillo, der erfahrenen Architekt und Bautechniker der Fundación EcoSur Ecuador, einen individuellen Plan, welche baulichen Maßnahmen für jedes Haus erforderlich sind. Besonders baufällige Häuser werden neu errichtet, andere werden saniert und baulich erweitert, oder mit einem neuen Dach versehen. Alle Häuser erhalten jedoch größere Fenster für mehr Licht und um Energie einzusparen, sichere Türen, sowie eine Toilette mit Waschmöglichkeit.
Wie in fast allen Projekten in Lateinamerika werden auch hier wieder junge Menschen zu Maurer:innen ausgebildet. Die ersten sechs Maurerlehrlinge begannen ihre Ausbildung im Mai 2022. Die Theorie findet immer samstags im Schulungsraum bei EcoSur in der Stadt Riobamba statt.
Ihre praktischen Fertigkeiten erlangen sie auf den Baustellen des Projektes.
„Einige Menschen schämen sich für ihre Armut und entschuldigen sich. Das macht sehr betroffen“, erzählte Johanna Drach beim Gedanken an die prekären Wohnbedingungen vieler Familien dem DESWOS-Team nach ihrer Rückkehr. „Umso mehr freuen wir uns, wenn wir dank der Spenden aus Deutschland nach und nach jeder Familie eine sichere Unterkunft ermöglichen können.“