DESWOS: Johanna, Du arbeitest seit 11 Jahren in verschiedenen Organisationen der internationalen Zusammenarbeit im In- und Ausland, hast zuletzt mit Deiner Familie in Peru gelebt und gearbeitet. Was motiviert Dich für die Arbeit als Geschäftsführerin der DESWOS?
Johanna Drach: Das ist natürlich eine ganze Menge. Abgesehen von der inhaltlichen Ausrichtung, ist es vor allem über diese Position selbst gestalterisch sein zu können, Prozesse anzustoßen, dieses Team – das ich wunderbar finde – zu motivieren, vielleicht auch gemeinsam neue Wege zu gehen. Das ist das, was mich besonders an dieser Position reizt und Spaß macht.
DESWOS: Was ist für Dich das Besondere an der DESWOS, inhaltlich von der Projektarbeit aus betrachtet und auch als Verein?
Johanna Drach: Ich muss gestehen, dass ich die DESWOS vorher nicht kannte. Das Besondere ist, dass sie aus der Wohnungswirtschaft, also eigentlich aus der Privatwirtschaft heraus gegründet wurde. Das ist für eine Hilfsorganisation eigentlich etwas sehr Unübliches. Deshalb steckt da auch ganz viel Potential drin. Ein Potential, das meiner Meinung nach noch viel mehr genutzt werden könnte. Die DESWOS könnte die ganz eigene soziale Marke der Wohnungswirtschaft sein.
Das Besondere an der DESWOS für mich von der Projektarbeit aus betrachtet, ist das Kernthema „Wohnen ist ein Menschenrecht“, nach Art. 25 der allgemeinen Menschenrechte. Das ist das Alleinstellungsmerkmal der DESWOS. Durch diesen klaren Auftrag unterscheidet sie sich meiner Meinung nach von vielen anderen Hilfsorganisationen. Das fiel mir sofort ins Auge, als ich mich mit der DESWOS beschäftigte. Wohnen ist eine Mit-Voraussetzung dafür, dass andere Menschenrechte erfüllt werden, wie das Recht auf Bildung und auf Gesundheit. Die Projektarbeit der DESWOS finde ich deshalb besonders, weil sie auch integral gedacht ist. Alle Maßnahmen sind miteinander verzahnt. Erst, wenn meine Grundbedürfnisse befriedigt sind, wenn ich ein Dach über dem Kopf habe, wenn ich etwas zu essen habe, dann kann ich mein volles Potential entfalten, zur Schule gehen, eine Ausbildung machen, eine Arbeit finden. Erst dann habe ich eine Chance für eine bessere Zukunft.
DESWOS: Worin siehst Du mit Deiner Erfahrung aus 11 Jahren Berufspraxis die größten Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit der nächsten Jahre?
Johanna Drach: Die größten Herausforderungen sind die wachsenden globalen Krisen, die zunehmenden Kriege um immer knapper werdende Ressourcen und natürlich auch der Klimawandel. Aus finanzieller Sicht bedeuten mehr Krisen einen höheren Finanzbedarf. Wir müssen mehr Mittel generieren, um diese Krisen anzugehen. Schon jetzt spüren wir an der Ukraine- Krise, dass wir weniger Mittel für wichtige Themen der Entwicklungszusammenarbeit haben.
Knappere Ressourcen und der Klimawandel, das schafft immer größere Ungleichheiten, auch in den
Ländern, in denen wir arbeiten. Das führt zu Konflikten und sozialen Aufständen. Ich merke das beispielsweise an den lateinamerikanischen Ländern, die für mich immer sehr stabile Länder waren. Die Arbeitskontexte und die Sicherheitslage für unsere Partnerorganisationen sind schwieriger geworden. Auch für uns selbst, um vor Ort tätig sein zu können.
Das alles sind große Herausforderungen. Gleichzeitig ist es ein klares Signal, dass wir unbedingt weiter dort tätig sein müssen! Die Herausforderungen sind komplex und sie fordern unser Engagement weltweit. Es ist zu kurz gedacht, dass wir nur bei uns die Löcher stopfen und den Klimawandel bekämpfen und ihn nicht weiter denken. Es ist unsere gemeinsame Welt!
DESWOS: Zum Abschluss eine persönliche Frage: Was war Dein frustrierendstes Erlebnis in Deiner bisherigen Arbeit? Was war Dein schönstes Highlight?
Johanna Drach: Ich nenne es das tragische Erlebnis für meine Familie und für mich, dass wir im Rahmen unseres Auslandseinsatzes für meinem vorherigen Arbeitgeber Peru verlassen mussten. Wir mussten innerhalb von zwei Wochen entscheiden, ob wir aufgrund von Covid und Lockdown einen humanitären Flug nach Deutschland nehmen. Wir haben von heute auf morgen alles zurückgelassen. Wir kamen nach Deutschland und hatten nichts. Kein Zuhause. Wir waren in einer Übergangsunterkunft. Mit dieser Erfahrung kann ich mich mit dem Kern der DESWOS vielleicht umso besser identifizieren, weil ich tatsächlich auch in Teilen erlebt habe, was das bedeutet. Es ist natürlich nicht vergleichbar mit den Menschen in unseren Projektländern, die in viel schwierigeren Situationen leben.
Frustrierend war noch, dass ich neun Partnerorganisationen und Projekte zurücklassen musste und das Gefühl hatte, meinen Auftrag nicht erfüllt zu haben. Ich hatte über zwei Jahre verschiedene Prozesse angestoßen, Veränderungen bewirkt und hatte das Gefühl, mit der eigentlichen Projektarbeit loslegen zu können. Und dann musste ich gehen. Das hat mich sehr unzufrieden gemacht.
Mein persönliches Highlight war, aus dieser Situation gestärkt herauszugehen. Gemeinsam mit der Familie ganz schnell wieder Fuß zu fassen, eine neue Wohnung zu finden, eine neue Arbeit zu finden und sich etwas Neues aufzubauen. Es gibt ein treffendes Zitat von Goethe, was diese Situation gut beschreibt: „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.“
DESWOS: Bitte beende den folgenden Satz: Ich setze mich im Kampf gegen Wohnungsnot und Armut weltweit ein, weil …
...ich glaube, dass ich dadurch, dass ich in Afrika geboren und aufgewachsen bin, das Bewusstsein für Ungleichheiten schon von klein auf mitbekommen habe.
Johanna Drach ist 40 Jahre alt, verheiratet und hat einen Sohn. Geboren ist sie in Westafrika und hat dort die ersten fünf Lebensjahre verbracht. Die studierte Romanistin und Slawistin arbeitet seit 2011 in verschiedenen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit im In- und Ausland, zuletzt in Peru. Im Juli 2021 startete sie im DESWOS-Team als Projektbetreuerin für Lateinamerika und Afrika.